Am zweiten Tag standen die Wahlen des neuen Sprecher/innenrates an. Wie sehr man von einer Wahl eines reinen Kollektivrates ausgegangen war, zeigt schon der Vorschlag der Tagesordnung. Hier wurde insgesamt eine Zeit von 10:30 bis 15:30 angesetzt, wobei sich mir nebenbei die Frage stellte, wieso man erst kurz vor dem Mittagessen beginnen will, wenn alle Teilnehmer vor Ort übernachten. Die Wahlen sollten danach in zwei Wahlgängen erfolgen: 1. Wahlgang zur Sicherung der Mindestquotierung Liste – ja, so heißt bei uns die Frauenliste. 2. Wahl der gemischten Liste – nein, so heißt nicht unsere Männerliste, sondern das ist wirklich eine gemischte, also eine auch für Frauen offene Liste. Auf die Idee, dass die Wahlversammlung sich, wie bereits immer bis 2012 für eine Einzelwahl von verschiedenen Ämtern, wie auch bei den Wahlen der Bundes- und Länderparteivorstände üblich und auch in den Satzungen so festgelegt, entscheiden könnte, kam man erst gar nicht. Sonst hätte klar sein müssen, dass für die mindestens 6 Wahlgänge die Zeit nie und nimmer gereicht hätte.
Ein kleines Detail am Rande sagt über das interne Handeln des Hohen Rates Einiges aus. Als ich am Morgen – Die Anfangszeit der Tagung war auf Antrag auf 9 Uhr vorgezogen worden – zum Speiseraum ging, um mein Frühstück einzunehmen, sah ich einen Vertreter des Hohen Rates mit einem Teller in einem separaten Raum verschwinden, dessen Türe er gleich wieder hinter sich verschloss. Ich öffnete sie wieder und sah, dass der Hohe Rat dort speiste. Das war wohl am vorherigen Abend schon so, mir aber nicht aufgefallen. Da gab es wohl so etwas wie ein Offizierscasino und die einfachen Delegierten speisten in der Mannschaftskantine. Aber das wie gesagt nur am Rande.
Nachdem die Wahlkommission gewählt war, legte die Mandatsprüfungskommission den aktuellen Bericht vor: Anwesend waren 37 Delegierte und 5 Mitglieder des Hohen Rates. Wobei anzumerken ist, dass 5 der Delegierten ebenfalls dem Hohen Rat angehörten. Die Mitglieder des Rates hatten übrigens größtenteils auch am Vortag bei der Frage der Entlastung rechtswidrig teilgenommen und wollten sich selbst entlasten. Auf meine Nachfrage, wer von den Genannten denn Parteimitglied sei, konnte keine Antwort gegeben werden, da der Kommission keine Unterlagen vorlagen, die eine Prüfung ermöglicht hätte. Freiwillig meldeten sich eine Delegierte und zwei Mitglieder dieses Rates. Nun waren ja bereits Versuche im Vorfeld, missliebige Delegierte gleich von der Versammlung fernzuhalten, wie in einem Brief eines Mitglied des Hohen Rates auf eine Anfrage, ob einem Delegierten, der bereits am Freitag losfahren musste, um Samstagmittag vor Ort zu sein, keine andere Möglichkeit der Anreise gestattet werden könne, dokumentiert
„Sehr geehrter Herr Wiehagen,
solche solidarischen Leute wie Sie braucht HartzIV Land! Platz schaffen für die Massen und ganz wichtig; sich von diesen abheben, denn das hat man ja jetzt nicht mehr nötig als Kreisrat.
Aber vielleicht merken Sie ja noch, daß Sie ganz sicher nicht in der AG HartzIV passen und reisen erst gar nicht ab. Arme Dagmar, was hast du nur für Bekannte oder gar Freunde.
Jürgen Steinhof“
Gescheitert waren ja auch die Versuche während der Versammlung, wie in Kapitel 1 ausführlich geschildert.
Stimmen wir doch darüber ab, ob wir die Parteisatzung nicht einhalten wollen
Also musste man natürlich mit Gewalt auch den beiden parteilosen Mitgliedern des Rates das aktive und passive Wahlrecht zugestehen. So gab es eine längere Debatte. Nachdem ich den einschlägigen Paragraphen der Satzung der Partei vorgestellt und näher seine Entstehungsgeschichte und Absicht dieser Regelung, die erst 2011 so formuliert wurde, erklärt hatte, kam der große Auftritt der beiden parteilosen Mitglieder des Rates, Dan M. und Ronald B., die uns Parteimitgliedern unsere Satzung erklärten. So sprach Ronald B. davon, es gäbe gar keine Gastmitglieder in der BAG, Dan M., seines Zeichens Rechtsanwalt, deutete die Satzung so, dass sie sich selbst widerspräche, weil es ja einen Passus für die LinksJugend Solid gäbe und der § 5 sich auf Gliederungen der Partei beziehe.
Damit sich jeder selbst ein Bild machen kann,
hier der § 5 Gastmitglieder
(1) Menschen, die sich für die politischen Ziele und Projekte der Partei engagieren, ohne selbst Mitglied zu sein, können in Gliederungen und Zusammenschlüssen der Partei mitwirken und ihnen übertragene Mitgliederrechte als Gastmitglieder wahrnehmen. Über die Übertragung von Mitgliederrechten und deren Umfang entscheiden die jeweiligen Gliederungen und Zusammenschlüsse.
(2) Nicht auf Gastmitglieder übertragbare Rechte sind:
…. c) das aktive und passive Wahlrecht. Nicht davon berührt ist das Recht bei Wahlen zu Parlamenten, kommunalen Vertretungskörperschaften und sonstigen öffentlichen Ämtern nominiert zu werden.
Klarer kann man weder den Begriff Gastmitglieder, noch worauf diese Regelungen zutreffen oder die Frage ihres Wahlrechtes definieren.
Und wieder wurde über etwas abgestimmt, über das eine Versammlung gar nicht abstimmen kann. Keine Versammlung kann abstimmen darüber, ob sie die bestehende Satzung der Partei aussetzen will, auch nicht vorübergehend. Unabhängig von dieser Feststellung kam es in der Abstimmung zu zwei weiteren entscheidenden Satzungsverstößen.
1. Da ja entschieden werden sollte, ob man den Gastmitgliedern Mitgliederrechte übertragen wolle, hätten sie selbst natürlich darüber nicht mir abstimmen dürfen, da ihnen noch gar keine Rechte übertragen wurden. Dies wurde nämlich am Vortag versäumt. Die übertragenen Rechte gelten jeweils immer nur für die aktuelle Versammlung. Wäre ihnen am Vortage das Stimmrecht übertragen worden, würde das immer noch nicht das Wahlrecht betreffen, folglich hätten sie auch kein Stimmrecht im Wahlverfahren.
2. Da ihnen Rechte übertragen werden sollten, hätte die Abstimmung so ausgelegt werden müssen, dass der Antrag auf Übertragung der Wahlrechte lautete. Das war entscheidend beim Ergebnis, welches lautete: 21:21. Ein Antrag gilt als abgelehnt, wenn er keine Mehrheit erhält. Folglich hätten diese Rechte, unabhängig von der ohnehin satzungswidrigen Abstimmung, nicht übertragen werden dürfen, da der Antrag auf Übertragung dieser Rechte keine Mehrheit erhalten hatte. Das Abstimmungsergebnis wurde aber so ausgelegt, dass „ihnen das Wahlrecht nicht zu übertragen“ abgelehnt wurde.
Also, egal aus welchem der genannten Gründe, das passive und aktive Wahlrecht, und damit natürlich auch das Stimmrecht für alle Beschlüsse während der Wahlen, hätten ihnen nicht übertragen werden dürfen.
An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass ich seinerzeit vehement auf dem Bundesparteitag dagegen gekämpft habe, diese Satzungsänderung mit dem Verbot, Wahlrecht an Gastmitglieder zu übertragen, zu beschließen. Meine Intention war, dass man Gastmitgliedern die Möglichkeit einräumen sollte, in die Partei zu „schnuppern“, bevor man sich zum Parteieintritt entschließt. Heute sehe ich das anders. Die beiden Nichtparteimitglieder Dan M. und Ronald B. sind seit Jahren in den Parteistrukturen aktiv, ohne sich zu entschließen, ihre Mitgliedschaft zu beantragen. Das ist in meinen Augen die Absicht, in einer Vereinigung von Menschen mitreden zu wollen, ohne sich mit ihnen zu identifizieren. Nebenbei bedeutet das natürlich auch, dass sie keine Mitgliedsbeiträge zahlen müssen.
Die Vorsitzenden selbst bestimmen ist demokratischer als sie wählen zu lassen
Nachdem die Größe des Sprecher/innenrates mit 16 festgelegt wurde, kam es zu der für meine Kandidatur entscheidenden Abstimmung. Ich hatte ja bereits in Kapitel 1 ausführlich beschrieben, warum für mich eine Kandidatur nur in Frage kam, über die alle wahlberechtigten Delegierten abstimmen können und nicht nur eine kleine Anzahl „Auserwählter“. Der Antrag lautete, die Funktionen Sprecherin, Sprecher, Koordinator/in und Schatzmeister/in in Einzelwahl zu wählen und die weiteren Mitglieder in zwei Blöcken. So, wie es auf Bundes-, Landes- und auch auf Kreis- oder Bezirksebene in unserer Partei üblich ist.
Es wurde eine 15-minütige Debatte beschlossen, in deren Verlauf die Verfechter der Kollektivwahl mit anschließender Aufteilung der Funktionen durch sich selbst immer wieder von einer Wahl gleichberechtigter Sprecher/innen redeten. So entstand bei Einigen der Eindruck, dass das andere Wahlverfahren zu ungleich berechtigten Mitgliedern führe, was natürlich jeder Grundlage entbehrt. Natürlich gilt bei beiden Alternativen: Ein Mitglied – eine Stimme. Als letzter Sprecher war der Kleine König an der Reihe. Er verwirrte die Zweifelnden vollends, indem er ständig davon sprach, ich wolle einen Geschäftsführenden Sprecher/innenrat etablieren und dies geißelte. Unabhängig davon, dass in dem Antrag hiervon kein Wort zu lesen ist, fand ich bemerkenswert, dass ausgerechnet von ihm diese Argumentation kam. Er war bereits im vorletzten Rat Mitglied und hat für eine Geschäftsordnung gestimmt, in der das Wort Geschäftsführender BSpRat mehrfach vorkam. So kam es dann zu einer sehr knappen Entscheidung, natürlich unter Beteiligung der eigentlich nicht Abstimmungsberechtigten. Mit der Folge, dass nun nur zwei Wahlgänge stattfinden sollten.
Da das Thema für mich damit durch war, verließ ich den Raum und ging zum Rauchen auf die Terrasse, um mich später an den Wahlen zu beteiligen. Nach einiger Zeit kamen die ersten Delegierten und taten es mir gleich. Wie ich erfuhr, hatten sie ihre Kandidatur zurückgezogen. Für mich nachvollziehbar, da Einige ihre Kandidatur bereits zuvor von meiner abhängig gemacht hatten. Zum Schluss blieben dann auf der, ich nenn sie jetzt mal so, Frauenliste nur Kandidatinnen des derzeitigen Rates, dem doch Tags zuvor klar und deutlich das Misstrauen ausgesprochen wurde. Bei den ersten Vorstellungen verließen daraufhin weitere Delegierte nicht nur den Raum, sondern die Veranstaltung und meldeten sich bei der Mandatsprüfungskommission ab. Darauf hin stellte ein Delegierter aus Hamburg den Antrag, die Beschlussfähigkeit festzustellen.
Das Ergebnis war, dass außer neun Mitgliedern des Hohen Rates die Delegierten der Wahlkommission und die der Mandatsprüfungskommission sowie vier weitere Delegierte noch vor Ort waren. Es wurde beschlossen, den Wahlgang noch durchzuführen, da ja die Liste geschlossen sei und man für diesen Wahlgang keine Beschlüsse mehr fassen müsse. Daraufhin legten zwei der drei Mitglieder der Wahlkommission und die Mitglieder der Mandatsprüfungskommission ihre Arbeit nieder und verließen ebenfalls die Versammlung. Eine Wahl unter diesen Voraussetzungen wollten demnach noch 9 Mitglieder des Hohen Rates, 3 Delegierte aus Baden-Württemberg, darunter der Verfasser des oben zitierten netten Briefes, und ein Delegierter aus Sachsen-Anhalt, wenn ich mich recht erinnere.
Wäre kein Antrag auf Feststellung der Beschlussfähigkeit gefasst worden, so hätten diese 9 Mitglieder des Rates überhaupt kein Problem damit gehabt, sich selbst wiederzuwählen. Angesichts der Vorgänge dieser zwei Tage kann ich nur die Fragen stellen:
Haben diese Leute weder Stolz noch Schamgefühl? Geht es ihnen nur um Pöstchen oder haben sie doch ein politisches Ziel, nämlich die endgültige Vernichtung der BAG Hartz IV? Zur Bedeutungslosigkeit haben sie diese bereits in den letzten zwei Jahren gebracht.