Mehr Personal ins Krankenhaus

Ver.di an der Charité hat erste Verbesserungen durchgesetzt

Seit über zwei Jahren nun kämpfen ver.di-Aktive an Europas größten Universitätsklinikum Charité für mehr Personal im Krankenhaus. Bei der Charité arbeiten 13.200 Beschäftigte, davon ungefähr 4.100 im Bereich der Pflege- und Funktionsdienste. 2012 stellte die ver.di-Betriebsgruppe erstmals die Tarifforderung nach personellen Mindeststandards auf. Die Reaktion der Klinikleitung war damals klar: Ablehnung. Es handele sich um einen Verstoß gegen die „unternehmerische Freiheit“ und das Grundgesetz.
Der Bezug auf die „unternehmerische Freiheit“ mutet den ver.di-Aktiven recht merkwürdig an, handelt es sich doch um ein öffentliches Krankenhaus. Sie lassen sich nicht einschüchtern, sondern vertreten lautstark ihre Forderungen nach festen Quoten von Beschäftigten zu Patienten in der Pflege und in anderen Bereichen. Konkret gefordert wird: Kein Nachtdienst darf mehr allein verrichtet werden, auf Normalstationen soll eine Quote Patient in Relation zu Pflegekraft von 1:5 und auf Intensivstationen von 1:2 gelten. Momentan betreut eine Pflegekraft an der Charité im Durchschnitt zwölf PatientInnen auf Normalstation.
Flugs gründete sich das Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“, das sich zum Ziel setzt, diese politische Auseinandersetzung gesellschaftlich bekannt zu machen und den Kolleginnen und Kollegen den Rücken zu stärken. „Wir wollen nicht, dass Krankenschwestern kranke Schwestern werden“, ist einer der Slogans des Bündnisses. Da Personal an allen Ecken und Enden mangelt, bekam die Auseinandersetzung eine breite Rückendeckung durch die Belegschaft und auch die Unterstützung von Ärzten. Durch sogenannte Notruf-Aktionen wird ver.di immer wieder mitgeteilt, wo Personal fehlt. Es wurde deutlich, dass die Fahnenstange erreicht ist und es so nicht weitergehen kann. Die ver.di Betriebsgruppe rief schließlich im Frühjahr zum Warnstreik auf und kündigte für den Tag umfangreiche Bettensperrungen und gar Stationsschließungen an. So unter Druck gesetzt, flüchtete sich der Arbeitgeber in die Schlichtung.
Das Ergebnis der Schlichtung liegt nun vor und wird von beiden Tarifpartnern akzeptiert: Tarifvertraglich wird festgeschrieben, bis Jahresende 80 Vollkräfte neu einzustellen und eine paritätische Gesundheitskommission einzurichten, in die Arbeitgeber und ver.di jeweils drei Mitglieder entsenden. Sie hat die Aufgabe, zusätzliche Bedarfe zu erfassen und die Verteilung der 80 Vollkräfte zu organisieren und zu kontrollieren. Zudem werden alle Auszubildenden der Pflege sowie Hebammen und Operationstechnische AssistentInnen unbefristet übernommen.
Wichtig ist, dass der Personalaufbau nicht durch Fluktuation und Personalabbau konterkariert werden darf. Ab Herbst soll evaluiert werden, ob dies ein tragfähiges Modell zur Personalaufstockung ist und ob der Arbeitgeber sich an seine Zusagen hält. Der neue Tarifvertrag – auch „TV kurz“ genannt – hat damit einen Übergangscharakter und läutet eine halbjährige Testphase ein.
Klar ist dabei, dass 80 zusätzliche Vollkräfte bei weitem nicht ausreichen und dass dies erst der Anfang sein kann. Wichtig ist aber, dass mit dem neuen Tarifvertrag bewiesen wurde, dass im Gegensatz zu den Äußerungen des Arbeitgebers in 2012, tarifliche Regelungen für bessere Arbeitsbedingungen möglich und durchsetzbar sind. Zum ersten Mal räumte die Charité öffentlich ein, dass sie zu wenig Pflegekräfte einsetzt.
Ver.di kommentiert das jetzige Ergebnis in einer Pressemitteilung vom 11.Juni wie folgt:
„Der Tarifvertrag, der zunächst  eine Laufzeit bis Ende dieses Jahres haben wird, stellt für ver.di und die Arbeitgeberseite einen Testlauf dar. Der „TV Kurz“ soll kontinuierlich evaluiert werden, mit dem Ziel, herauszufinden, ob das von den Schlichtern vorgeschlagene Modell für den Dauerbetrieb tauglich ist. Anfang Dezember werden dann die Verhandlungen zwischen ver.di und der Charité wieder aufgenommen. Carsten Becker, Mitglied der Verhandlungskommission und Vorsitzender des Gesamtpersonalrats bei der Charité: ‘Wir haben etwas geschafft, was uns vor einiger Zeit noch keiner zugetraut hätte. Wir haben den Vorstand des größten Universitätsklinikums dazu gebracht, zuzugeben, dass eine ausreichende Personalbemessung insgesamt notwendig ist und eine kurzfristig spürbare Entlastung insbesondere des Pflege- und Funktionsdienstes, unverzichtbar ist.’ (…) Die Tarifkommission kritisiert jedoch die ihrer Ansicht nach zu geringe Zahl an Vollkräften, die die Charité bis zum Jahresende einstellen will. Dies sei angesichts der hohen Arbeitsbelastung ein ‘Tropfen auf den heißen Stein’.“
Diese ersten Verbesserungen konnten nur erreicht werden aufgrund des öffentlichen Drucks und durch die fortwährende Drohung, in einen Streik zu treten. Nach Auslaufen der Friedenspflicht Ende 2014 steht diese Möglichkeit wieder im Raum, sollte keine „wirksame Entlastung des Personals“ eingetreten sein. Bis Jahresende hat die Gesundheitskommission und ver.di Charité nun alle Hände voll zu tun. Meike Jäger, Verhandlungsführerin an der Charité meint dazu: „Wir haben mit diesem Tarifvertrag erstmals die Chance, einen detaillierten Einblick in die eher budgetgesteuerte Personaleinsatzplanung eines Krankenhauses zu erhalten und die Probleme, die damit verbunden sind, sichtbar zu machen“
Carsten Becker unterstreicht im Interview mit der jungen Welt vom 6. Juni: „Jetzt müssen wir ausprobieren, welche Maßnahmen notwendig sind für einen Tarifvertrag, der allen Beschäftigten Entlastung bringt. Zugleich können wir gemeinsam mit anderen Häusern den Druck für eine gesetzliche Personalbemessung erhöhen.
Wir konnten mit dem Tarifkonflikt an der Charité dazu beitragen, das Thema Personalmangel in Krankenhäusern in den Medien und in der Politik zu plazieren. Konkret machen wir Druck dafür, dass das Land Berlin zum Vorreiter wird und gesetzliche Mindeststandards beim Personal festschreibt. Letztlich brauchen wir ein solches Gesetz auf Bundesebene. Betriebliche Auseinandersetzungen wie an der Charité können helfen, dafür Druck zu entwickeln.“
Ein Vernetzungstreffen für Interessierte aus verschiedenen Krankenhäusern findet auf Einladung der ver.di Betriebsgruppe am Samstag, 28. Juni in Kassel im Phillip-Scheidemann-Haus statt. Anmelden kann man sich hier.
Lucy Redler ist aktiv im Bündnis Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus.
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