Nach fast 10 Jahren Praxis bietet sich eine Fragestellung an: Was sind die praktischen Auswirkungen von Hartz IV auf die Volkswirtschaft? Hat es irgendwelche Auswirkungen auf die allgemeine Beschäftigungssituation?
Die letzte Frage lässt sich leicht beantworten: Ja und nein.
Ja, weil das SGB II mit seinen zu niedrigen Regelsätzen und den Vorschriften, die dem „Fordern“ im „Fördern und Fordern“ dienen, dafür gesorgt haben, dass die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust so groß ist, dass die lohnabhängig Beschäftigten fast alles mit sich machen lassen und dadurch nicht nur für eine massive Ausweitung des Niedrig- und Armutslohnsektors gesorgt hat. Arbeitszeitverdichtung ist inzwischen ebenso flächendeckend üblich wie unbezahlte Überstunden.
Nein, weil sich die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden quasi nicht erhöht hat. Im Jahr 2000 (konjunkturell in etwa vergleichbar) wurden 57.922 Millionen Erwerbsarbeitsstunden geleistet, 2013 waren es 58.071. Also in beiden Fällen rund 58 Milliarden Stunden.
Das steht zunächst im Widerspruch zu den offiziellen Arbeitslosenquoten: 2000 waren dies 10,7 %, im Jahr 2013 6,9 %. Hinzu kommt nach, dass seit 2005 erwerbstätige Sozialhilfeempfänger als Arbeitslose mitgezählt werden.
Diese Diskrepanz hat drei Gründe. Zum Einen die statistischen Tricks, die inzwischen von der Arbeitsagentur angewandt werden – rund 800.000 Erwerbslose werden nicht mitgezählt – und zum Anderen die Verteilung der Erwerbsarbeit auf immer mehr Teilzeitstellen und Minijobs. Hinzu kommt noch, dass viele frühere Arbeitslosenhilfeempfänger, deren Lebenspartner erwerbstätig sind, keinen Anspruch auf ALG II haben und somit nicht in der Statistik erscheinen.
Und nun zur ersten Frage, die eigentlich schon mit dem oben Ausgeführten beantwortet ist.
Fördern und Fordern war die Maxime von Hartz IV. Fördern, um Erwerbslose besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren, Fordern, um sie zur Eigeninitiative zu motivieren.
Fördern
Fördern würde bedeuten, dass Erwerbslose beruflich qualifiziert bzw. weiter qualifiziert werden. Um eine volkswirtschaftliche Auswirkung zu haben, wären Voraussetzung, dass zum Einen Erwerbsarbeitsplätze frei wären, weil im „Arbeitslosenheer“ keine entsprechend Qualifizierten zur Verfügung stehen und zum Anderen, dass Erwerbslose gezielt hierfür ausgebildet werden. Beides ist jedoch nur in absoluten Ausnahmen der Fall. Stattdessen werden Erwerbslose in völlig unsinnige Maßnahmen gesteckt wie Bewerbungstrainings, die, sollten sie erfolgreich sein, lediglich dazu führen, dass ein Erwerbsloser einen anderen Erwerbstätigen ersetzt, mithin die Anzahl der Nichterwerbstätigen gleich bleibt. Der Sinn oder besser Unsinn solcher und ähnlicher Maßnahmen wird an einem mir bekannten Beispiel deutlich. Ein Bürokaufmann mit abgeschlossenem Germanistikstudium wurde zu einem Gabelstaplerschein verpflichtet. Nicht etwa, weil plötzlich Tausende von Gabelstaplern gesucht werden, sondern weil das eine Qualifizierungsmaßnahme ist, die nicht allzu viel kostet. Da er als ALG II – Bezieher jeden Job zu jedem Lohn annehmen musste, war die Folge, dass er für weniger als 7 Euro eine Stelle vermittelt bekam, die vorher jahrelang ein Gabelstaplerfahrer für einen höheren Lohn ausgefüllt hatte. Nun war der Germanist-Kaufmann Gabelstaplerfahrer und der Gabelstaplerfahrer erwerbslos und wurde wahrscheinlich erst in ein Bewerbungstraining und dann in einen EDV-Lehrgang gesteckt. Und ist damit höchst wahrscheinlich heute noch erwerbslos.
Das Fördern in Form von echter Weiterbildung ist allerdings ohnehin nicht von den Hartz IV – Regierungen gewollt. Wurden doch erst 2010 in diesem Bereich im Zuge des sogenannten Sparpaketes 16 Milliarden Euro gekürzt.
Fordern
Voraussetzung, dass Fordern einen volkswirtschaftlichen Sinn ergibt, wäre der Umstand, dass es weit mehr freie Arbeitsstellen auf dem „Markt“ gibt als Arbeitssuchende. Das ist jedoch mitnichten so. Die offiziellen Zahlen sprechen bereits eine deutliche Sprache. Freie Stellen 2013: rd. 456.000. Arbeitslosenstatistik 2013: rd. 3.000.000. Ergänzt man die Arbeitslosenstatistik um die bewusst Herausgerechneten und die Arbeitssuchenden, die kein Arbeitslosengeld erhalten, kommt man sicher auf 5 bis 6 Millionen. Das zeigt bereits, dass bei jeder Vermittlung eines Erwerbslosen in Erwerbsarbeit dies nur ein Austausch von Personen ist. Selbst wenn es genau so viele freie Stellen gäbe wie Arbeitssuchende, hieße das noch lange nicht, dass jeder Arbeitssuchende einer Erwerbsarbeit nachgehen könnte. Eine freie Stelle als Bäcker in München wird dem Dachdecker in Hamburg wenig helfen. Es sei denn, der Dachdecker würde zum Bäcker umgeschult und die Bevölkerung würde insgesamt zu einem Nomadenvolk.
Einzige Folgen des „Forderns“ sind zum Einen Frustration der drangsalierten Erwerbslosen und der Umstand, dass es sicher Millionen Menschen gibt, die gerne einer Erwerbstätigkeit nachgehen würden, diese Arbeitsplätze jedoch von Menschen besetzt sind, die viel lieber etwas Anderes tun würden, wie sich um ihre Kinder kümmern, malen oder musizieren, oder meinetwegen auch ihren Garten umgraben. Was für ein sinnloses System.
Schlussfolgerung
Die Schlussfolgerung: Hartz IV wurde ausschließlich aus einem Grund eingeführt: Die Erwerbstätigen mit diesem Damoklesschwert so unter Druck zu setzen, dass das Lohnniveau insgesamt sinkt und die Wettbewerbschancen der deutschen Wirtschaft international steigen, was aber lediglich den Kapitaleignern zugute kommt, was bei sinkenden Löhnen in der Natur der Sache liegt. Es war also vordergründig durch hochgehaltene und gesteigerte Exportquoten volkswirtschaftlich, zumindest was das Bruttoinlandsprodukt angeht, erfolgreich. Allerdings ist ein dauerhafter Exportüberschuss in der Handelsbilanz volkswirtschaftlicher Unsinn. Bedeutet sie doch, dass ein großer Anteil des Produzierten den Produzierenden nie zugute kommt.
Also muss Hartz IV abgeschafft und durch eine menschenwürdige sanktionsfreie Mindestsicherung ersetzt werden!
Wäre sie menschenwürdig, also in Höhe von mindestens 1.050 Euro, so hätte sie neben der Tatsache, dass 7 Millionen Menschen endlich in Würde leben und an der Gesellschaft teilhaben könnten, den volkswirtschaftlichen Sinn, dass die Konsumausgaben insgesamt steigen und somit Erwerbsarbeitsplätze schaffen würde und wir einer ausgeglichenen Handelsbilanz näher kämen.