Ich hatte mich am letzten Samstag in aller Frühe, wie 36 weitere Delegierte, auf den Weg in die Pampa nach Frohburg gemacht, um endlich die sprachlose Zeit der letzten zwei Jahre der Bundesarbeitsgemeinschaft zu beenden und einen neuen Vorstand zu wählen, um die BAG wieder zu einer kraftvollen Stimme der vom Kapitalismus finanziell Benachteiligten und vom Gesetzgeber aus der Gemeinschaft ausgeschlossenen Menschen innerhalb und außerhalb der Partei DIE LINKE zu machen. Leider gibt es selbst in einer sozialistischen Partei Menschen, die sich daran aufgeilen, dass sie sich Visitenkarten drucken lassen können mit dem Hinweis „Sprecher der BAG Hartz IV“, so dass es letztlich nicht dazu kommen sollte.
Aber zurück zum Anfang: Als wir in der Kinder- und Jugendbegegnungsstätte, an dieser Stelle muss ich anmerken, dass ich nicht mehr lange bis zur 70 habe, ankamen, wurden wir als Erstes mit einem Belegungsplan konfrontiert. Ich sollte nicht etwa mit meinen Berliner Genossen, mit denen ich angereist war, ein 4-Bett-Zimmer teilen – Etagenbetten, versteht sich – sondern wir sollten alle auf andere Zimmer eingewiesen werden. Von einer Genossin hörte ich später, dass man ihr verweigern wollte, zusammen mit bekannten Genossinnen in ein 8-Bett-Zimmer zu ziehen. Aber das nur am Rande.
1. Versuch, eine Kandidatur zu verhindern
Beim Einschreiben in die Anwesenheitsliste erfuhr ich die erste Überraschung. Unterlagen gab es keine, weder Tagesordnung, noch Rechenschaftsberichte, nachweislich eingereichte Anträge, schriftlich eingegangene Kandidaturen usw. Diese wurden auch später nicht ausgeteilt. Es gab lediglich eine Delegiertenkarte. Mir wurde diese jedoch verweigert. Nachfragen wurden nicht beantwortet. Ich würde keine erhalten. Punkt. Hatte ich was verpasst? War ich nicht gerade erst in meinem Landesverband Berlin ordnungsgemäß gewählt worden? Auch einige Genossinnen aus Hessen und Thüringen, die anscheinend zur falschen Seite gehörten, erhielten keine Delegiertenkarte. Als alle versammelt waren, wurde natürlich die Frage gestellt, warum man keine Delegiertenkarte erhalten habe. Nun wurde erstmals erklärt, dass wir noch keine sechs Wochen Mitglieder in der BAG seien. Ich hatte unsere Satzung ja selbst mit ausgearbeitet, konnte mich aber an eine solche Regelung nicht erinnern. Auch ein Blick in die Satzung half da nicht weiter. Eine solche Regelung gab es nicht.
An dieser Stelle muss ich einen kleinen Rückblick ins Jahr 2009 werfen. Anfang des Jahres rief ich bundesweit die Mitglieder meiner Partei auf, eine Bundesarbeitsgemeinschaft zur Vertretung der Hartz-Betroffenen und prekär Beschäftigten zu gründen. Im April fand dann auch die Gründungsversammlung mit rund 100 Mitgliedern statt. Ich wurde ihr erster Sprecher, und blieb das bis zum Jahr 2012. Dann kündigte ich an, dass ich nicht mehr kandidieren würde, wollte aber noch das Wahlprozedere in der Satzung festgelegt haben, das bis dahin jeweils von der Wahlversammlung so beschlossen wurde. Dies sah eine Einzelwahl von vier Funktionen vor – Sprecherin, Sprecher, Koordinator/in und Schatzmeister/in – und gemeinsame Wahl der weiteren Mitglieder des Vorstandes, der bei uns Bundessprecher/innenrat heißt, weil das so schön nach Basisdemokratie klingt. Um ganz sicher zu gehen, dass dies auch dem Willen der Mehrheit der Mitglieder entspricht, machten wir eine Mitgliederbefragung, an der sich leider nur 117 Mitglieder beteiligten – den anderen rund 900 war dies wohl nicht so wichtig. Rund ¾ votierten für diese Variante. Auf der anschließenden Mitgliederversammlung setzten sich die anwesenden 29 Mitglieder über dieses Votum hinweg und beschlossen, einen Kollektivrat von 16 Personen zu wählen, der dann unter sich die Funktionsträger beschlossen. Ich erklärte, dass ich mit solch undemokratischem Vorgehen nichts zu tun haben wolle, und erklärte meinen Austritt.
Ich schildere dies aus zwei Gründen so ausführlich, zum Einen weil es ein wichtiges Detail ist für die entscheidende Abstimmung, mit der die Versammlung endete und zum Anderen, damit man versteht, wieso ich noch keine 6 Wochen Mitglied der BAG war. Als die Bundesschiedskommission eine satzungsgemäße Delegiertenversammlung für November 2014 anordnete – bis dahin gab es keine, weil sich der Rat weigerte, einen der Satzung entsprechenden Schlüssel zu errechnen, er fand einfach, der sei doof und machte einen anderen -, sah ich die Chance, dass wieder demokratische Regeln einziehen könnten und trat wieder ein.
Und nun zurück zum Samstag: Nachdem es aufgrund des Einspruchs wegen einer angeblichen 6-Wochenfrist eine heftige Diskussion gab, wurde vorgeschlagen, darüber abzustimmen, ob die betroffenen Delegierten eine solche Karte, die sie berechtigte, mit zu stimmen, erhalten würden. Ich stellte die Frage, wer denn abstimmen dürfe, nur die mit Karte, oder alle. Nach langem Hin und Her kam man auf die gute Idee, erst mal eine Probeabstimmung mit den Inhabern dieser offenbar so wertvollen Karte zu machen. Wie sich zeigte, erübrigte sich dadurch die weitere Abstimmung, denn die Mehrheit war dafür, dass wir als Delegierte mitreden dürften. Na endlich. Ist ohnehin schon erstaunlich, dass man über satzungswidriges Agieren überhaupt abstimmen muss, um satzungsgemäß zu verfahren. Doch wo blieb meine Delegiertenkarte?
2. Versuch
Es gab erneuten Einspruch einer sogenannten Provisorischen Mandatsprüfungskommission – eine gewählte konnte es ja noch nicht geben. Es würde das Wahlprotokoll aus Berlin fehlen. Wie sich später herausstellte, fehlte aber nicht nur das Wahlprotokoll aus Berlin, sondern auch die aus anderen Ländern. Das heißt, sie fehlten nicht wirklich. Der Hüter dieser Daten, der im Hinterzimmer – da es ja 2012 keine Einzelwahlen gab – ernannte Sprecher weigerte sich, diese Protokolle der von ihm selbst eingesetzten Provisorischen Mandatsprüfungskommission auszuhändigen. Mit der Begründung, er könne nicht prüfen, ob diese Wahlen auch ordnungsgemäß durchgeführt worden seien, da er nicht wisse, ob daran nur Wahlberechtigte teilgenommen hätten. Trotz Belehrung von mehreren Seite, dass sei ausschließlich Aufgabe der Landesverbände, die Ordnungsmäßigkeit der Wahlen der Delegierten der Länder zu überprüfen und sei doch mit ihrer Unterschrift bestätigt, blieb der kleine König stur und rückte sie nicht raus. Ich beantragte, darüber abzustimmen, dass alle sich als Delegierte ausgewiesenen Delegierten auch als solche anerkannt würden. Dies geschah dann auch mit dem erwarteten Ausgang. So, jetzt aber, jetzt kriege ich die heiß begehrte Delegiertenkarte. Und tatsächlich, sie wurde mir ausgehändigt.
3. Versuch
Aber eine Minute später musste ich feststellen, dass ich mich zu früh gefreut hatte. Ein Mitglied des hohen Rates bat ums Wort – wen er bat, war zu der Zeit noch unklar, da ja bisher nicht einmal ein Tagungspräsidium gewählt werden konnte – und zog das letzte As aus dem Ärmel. Mit großer Geste wurde ein am Abend zuvor gefasster Beschluss dieses Rates bekannt gegeben: Der Rat erkennt die Mitgliedschaft des Werner Schulten nicht an und verweigert ihm die Aufnahme in die BAG Hartz IV. Selbstverständlich sah auch ein solches die Satzung nicht vor. Und es erfolgte der Befehl: „Genosse Werner Schulten, ich fordere dich auf, die Delegiertenkarte unverzüglich zurück zu geben!“ Mist, da hatte ich sie doch gerade erst endlich bekommen, jetzt sollte ich sie wieder hergeben? Durch das allgemeine Gelächter konnte man noch Rufe hören wie „Schämt ihr euch gar nicht?“ und „gibt es auch eine Begründung?“ Natürlich blieben die Fragen unbeantwortet. Stattdessen noch einmal: „Genosse Schulten, ich fordere dich auf, die Delegiertenkarte unverzüglich abzugeben!“
Es wurde nach dem Abstimmungsergebnis gefragt. Darüber gab es aber zwei unterschiedliche Versionen. „Egal, wir haben es mehrheitlich beschlossen. Genosse Werner Schulten, ich fordere dich auf….“ Nun wurde abermals die Frage nach der Begründung gestellt. Nach längerem Weigern erbarmte sich die – ebenfalls im Hinterzimmer als solche – „gewählte“ Sprecherin und las etwas vor. Ich habe da nur was mitbekommen von „Kritik geübt, den Sprecherrat schlecht gemacht“.
Nun leben ja Fortsetzungsgeschichten davon, dass man die Spannung aufrecht erhält. Ob ich denn nun die mir gnädigerweise übergebene Delegiertengoldplatinkarte behalten durfte, wird in der Fortsetzung aufgelöst.
Soviel vorab: Der Titel des 2. Kapitels lautet: Heimlicher Mitschnitt und “Stasiakte”