Fauler Kompromiss

Parteitagsbeschluss wird außer Kraft gesetzt

Am 16.12.2014 will die Bundestagsfraktion der LINKEN einen zentralen Anti-Hartz-IV-Antrag beschließen, der die Alternativen unserer Partei zu Hartz IV aufzeigen soll. Nachdem Katja Kipping einen Appell an die Fraktion und den Parteivorstand gerichtet hatte, wenigstens die Formulierung aus dem Wahlprogramm zur Mindestsicherung dort aufzunehmen, gab es viele Briefe der Basis an die Abgeordneten, sie mögen sich an die Beschlusslage der Partei halten (siehe hier).

Aus dem Umfeld der beiden Nachgenannten wurde mir ein Kompromisspapier nebst Begründungen der Gewerkschafter Klaus Ernst und Sabine Zimmermann zugesandt, über das am nächsten Dienstag abgestimmt werden soll. Insbesondere aus den Begründungen geht deutlich hervor, dass der Wille der Basis (Bundesparteitagsbeschluss von 2012) dieser Fraktion in der Fraktion am Allerwertesten vorbei geht.

Der Beschluss des obersten Organs der Partei (Bundesparteitag) lautete:

Wir fordern die Abschaffung von Hartz IV und wollen stattdessen eine Erwerbslosenversicherung, die den Namen wirklich verdient und eine individuelle sanktionsfreie Mindestsicherung oberhalb der Armutsrisikogrenze zurzeit mindestens in Höhe von 1050 Euro netto monatlich.

Er war noch keine 5 Minuten alt, da wurde bereits angekündigt, dass man ihn wieder kippen werde. So zeigte auch der Leitantrag zum Wahlprogramm 2013 dies deutlich auf. Näheres hier.

In dem jetzt zur Abstimmung der BT-Fraktion vorliegenden Antrag heißt es fast am Ende des Antrags nur noch:

Stattdessen soll mittelfristig eine bedarfsdeckende, sanktionsfreie Mindestsicherung eingeführt werden.

Später erfolgt dann noch die Feststellung – ohne Bezug zur Mindestsicherung -, dass unter 1.050 Euro Armut droht. Interessant die Begründung, die hierzu geführt hat:

Damit nehmen wir die Zahl auf, machen aber deutlich, dass es dabei um eine Perspektive geht. Das ist wichtig, weil 1.050 Euro (netto) einen Paradigmenwechsel in der sozialen Sicherung bedeuten würde, der in der LINKEN in seiner Konsequenz nicht ausdiskutiert ist. Das durchschnittliche Arbeitslosengeld betrug 2013 861 Euro; der durchschnittliche Zahlbetrag einer Altersrente beim Rentenzugang 2013 737 Euro. In der Höhe von 1.050 Euro (netto) stellt die Mindestsicherung die Sozialversicherungen als paritätisch finanzierte Pflichtversicherungssysteme in Frage. Denn warum sollten noch Beiträge von Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen gezahlt werden, wenn die gleiche oder eine höhere Höhe auch durch eine steuerfinanzierte Mindestsicherung erreicht werden kann? Mit 1.050 Euro netto entwerten wir zugleich unsere eigenen Forderungen: Denn um mit dem Mindestlohn über die Mindestsicherung (plus Erwerbstätigenfreibeträge) zu kommen, müsste dieser bei einer 38-Stundenwoche bei 11,90 Euro liegen.

Ist schon unerträglich, dass hier wie bei den neoliberalen Parteien argumentiert wird – nach dem Motto: Die Lidlverkäuferin hat ja weniger, als die Erwerbslosen fordern – wird hier auch vergessen, dass DIE LINKE nach ihrem Grundsatzprogramm einen Mindestlohn von 12,50 bis 13,00 Euro fordern müsste – Programmformulierung: „Dieser Mindestlohn soll mindestens 60 Prozent des Durchschnittslohnes betragen.“

Es ist die Rede davon, dass die in Göttingen beschlossene Mindestsicherung in der Konsequenz nicht ausdiskutiert sei. Die Gelegenheit gab es bereits 2011, als Klaus Ernst noch Parteivorsitzender war und die Anregung von Katja Kipping und mir nicht wahrnehmen wollte. Nachdem die BAG Hartz IV die später vom Parteitag bestätigte Mindestsicherungsforderung aufgestellt und umfassend begründet hatte, stand es selbstverständlich auch den Gegnern frei, diese Diskussion zu führen.

Einwände auf dem Göttinger Parteitag beschränkten sich jedoch auf die auch jetzt wieder erhobenen Vorwürfe, Arbeitgeber und Arbeitnehmer würden dann nicht mehr in die gesetzliche Versicherung einzahlen. Habe ich da was verpasst? Steht so etwas in der Forderung? Sind die Beiträge etwa freiwillig?

Dass der klar formulierte Beschluss aus Göttingen nicht akzeptiert wird, zeigt auch diese Passage aus den Begründungen:

Die Sätze zum Wohngeld machen nur Sinn, wenn die Mindestsicherung als pauschale Leistung organisiert ist. Denn wie Forderungspunkt 5 unter 2. deutlich macht, sollen angemessene Wohnkosten nach deutlich verbesserten Kriterien und Heizkosten in tatsächlicher Höhe übernommen werden. Eine Aufstockung der Mindestsicherung durch Wohngeld steht im Widerspruch zu dieser Systematik. Nach Katjas Kompromissvorschlag soll aber offen bleiben, ob die Mindestsicherung als einheitliche Pauschalleistung oder nach der bestehenden Systematik (Regelsatz plus Deckung der Kosten der Unterkunft und Heizung) organisiert wird. Diese Sätze sind daher zu streichen.

Oder nach der bestehenden Systematik organisiert wird. Also will man sich offen halten, nach der bestehenden Systematik zu verfahren. Um Koalitionen mit den Hartz IV – Parteien zu ermöglichen? Wie glaubwürdig ist dann der Satz im Antrag „Das Hartz-IV-System muss weg“?

Genau diesen Bruch mit dem Unrechtssystem hatte aber der Parteitagsbeschluss zum Inhalt.