Die Ausgestoßenen

Langzeiterwerbslose zählen nicht mehr zur Gesellschaft

Langzeiterwerbslose sind durch die willkürlich herunter gerechneten Regelsätze faktisch von sozialer Teilhabe weitgehend ausgeschlossen. Aber sind sie dies deshalb auch offiziell aus der Gesellschaft, aus der Gemeinschaft der Menschen? Zählen sie nicht mehr zu der Gruppe „jede und jeder“? Nach Meinung der Bundesregierung offenbar nicht.

Auf die unzähligen Beispiele in der grundsetzwidrigen Hartz – Gesetzgebung sei hier nicht näher eingegangen, sondern nur auf ein aktuelles Beispiel.

Der von der Regierung eingebrachte Gesetzentwurf für einen Mindestlohn [Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz)]

verstößt daher auch gegen die UN-Charta der Menschenrechte. Und zwar gegen Artikel 23 (2) Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

Ungeachtet dessen heißt es im Entwurf zwar

§ 1 Mindestlohn

(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.

und in

§ 3 Unabdingbarkeit des Mindestlohns

Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sind insoweit unwirksam. Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer kann auf den Anspruch nach § 1 Absatz 1 nur durch gerichtlichen Vergleich verzichten. Die Verwirkung des Anspruchs ist ausgeschlossen.

aber in den Schlussvorschriften heißt es

§ 22

(2) Personen im Sinne von § 2 Absatz 1 und 2 des Jugendarbeitsschutzgesetzes ohne abgeschlossene Berufsausbildung gelten nicht als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes.

(4) Für Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung langzeitarbeitslos im Sinne des § 18 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch waren, gilt der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung nicht…

Wenn es also im § 1 klar und deutlich heißt: „jede und jeder hat Anspruch auf den Mindestlohn“, in den Schlussbestimmungen allerdings festgelegt wird, dass dieses Gesetz nicht für unter 18jährige ohne Berufsausbildung und nicht für Langzeiterwerbslose gilt, bedeutet dies doch, dass diese Personengruppe nicht zu „jedem“ gezählt werden, mithin nicht zur Gesellschaft.

In vielen Beiträgen und Diskussionen hört man immer von „wieder in die Gesellschaft integrieren“. Als Beispiel sei hier die Diakonie Hamburg aufgeführt. Sie benutzt diese Formulierung in einem Vorschlag für öffentlich geförderte Beschäftigung vom 19.01.2012:

„… die Erwerbslose dadurch erfahren, dass sie in die Gesellschaft integriert werden.“

Mit anderen Worten: Sie zählen derzeit nicht zur Gesellschaft, sollen aber eine Chance erhalten, wieder aufgenommen zu werden. Wohlverhalten und Fleiß natürlich vorausgesetzt.

Wer hat sie denn auf Grundlage welchen Gesetzes vorher aus der Gesellschaft ausgestoßen?

Vielleicht hilft ja auch da ein Blick in die UN-Charta. Dort heißt es gleich zu Beginn in der Präambel:

Da die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen…

Geht man also davon aus, dass Langzeiterwerbslose nicht mehr zur Gesellschaft gehören, also zur Gesellschaft, so finden die Menschenrechte auf sie auch keine Anwendung.

Bleibt aber immer noch die Frage, wer sie denn aufgrund welchen Gesetzes ausgeschlossen hat. Und woher nimmt sich die Bundesregierung aus CDU und SPD – besonders schändlich – das Recht, dies vorauszusetzen?

Man könnte allerdings auch der Meinung sein, dass der Gesetzentwurf durch seinen eigenen Text gesetzwidrig ist, quasi gegen sich selbst verstößt.

§ 3 Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sind insoweit unwirksam.